Kaleidoskop
Heute setzte ich mich im Park neben ein Mädchen auf die Bank. Sie sah sehr hübsch aus, hielt ein Buch in der Hand und der Wind ließ ihre blonden Haarsträhnen im Sonnenlicht tanzen. Mir war nach Unterhaltung zumute und so verwickelte ich sie in ein Gespräch, welches ich wohl nie vergessen werde...
>Haben wir heute nicht einen wunderschönen blauen Himmel?<
Sie klappte das Buch zu, schloss ihre Augen und streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Leise hörte ich ihren Atem und dachte schon, dass sie lieber allein sein wollte, als sie doch nach einer Weile sprach.
>Bestimmt, aber...was ist Blau?<
Verwundert sah ich sie an und begriff den Sinn ihrer Worte nicht, als mein Blick zu ihrem Buch wanderte und dort statt Buchstaben die leichten Wölbungen der Blindenschrift erblickte.
>Äh, ja...ich...<, stotterte ich herum und ärgerte mich über meine Unfähigkeit eine passende Antwort zu geben, als mir dann doch der rettende Gedanke kam.
Neben uns lag auf der Wiese ein Stück weggeworfenes Bonbonpapier, in dessen glitzernden Knitterfalten sich noch Tau vom Morgen befand.
>Warte einen Moment, gleich kann ich dir erklären wie blau ist.<
Ich bückte mich und hob behutsam das Papier mit den Wassertropfen auf.
>Gib mir deine Hand, dann zeige ich Dir, wie Blau ist.<, forderte ich sie auf.
Zögernd reichte sie mir ihre Finger und langsam ließ ich die einzelnen Tropfen auf ihre Handinnenflächen fallen. Sie erschrak bei der feuchten Berührung, zog ihre Hand aber nicht zurück. Sie schloss ihre Finger zur Faust und fühlte das Wasser auf ihrer Haut.
>So fühlt sich also Blau an...< sagte sie mit stiller, glücklicher Stimme und lächelte vor sich hin.
Abermals bückte ich mich und riss ein paar Grashalme aus der Erde, die ich zwischen meinen Fingerspitzen zermalmte.
>Gib mir deine andere Hand<, bat ich sie und legte in diese das herrlich satt duftende Gras hinein.
Sie roch am Gras und fühlte den Tau.
>Das ist die Farbe Grün< meint ich zu ihr und beobachtete dabei ihr Gesicht, um zu sehen, ob sie verstand, was ich meinte.
Noch einmal sog sie den intensiven Duft des Grasen ein, warf es dann weg und wandte mir ihr strahlendes Gesicht entgegen.
>Zeig mir, wie die Farbe Rot ist<, forderte sie mit einem Lachen in der Stimme.
Ich überlegte eine Weile, wie ich die Farbe Rot beschreiben könnte und zog mein Feuerzeug aus der Jackentasche. Ich nahm ihre Hand und hielt die Flamme ein Stück weit unter ihre Finger, dass sie nur die Wärme spüren konnte.
>Es fühlt sich warm an. Aber warum sagen die Menschen, das Rot die Farbe der Liebe ist?<, fragte sie mich mit einem verwunderten Ausdruck in ihrem Gesicht.
Ich nahm nochmals ihre Finger und hielt die Flamme für einen Moment ganz nah darunter.
>Aua...<
>Siehst du, darum bringen sie die Farbe Rot mit der Liebe in Verbindung. Rot ist wie ein Feuer...es kann wärmen und doch sehr weh tun.<
Schweigend dachte sie nach.
>Kannst du mir noch mehr Farben zeigen?< fragte sie hoffnungsvoll.
Angestrengt dachte ich nach und nahm dann die Dose Handcreme aus meiner Einkaufstüte. Abermals ergriff ich ihre Finger und strich die cremige Masse auf ihre Haut. Wieder fühlte sie, und roch dann an ihrer Hand.
>Es riecht weich, zart und rund. Welche Farbe ist das?<, wollte sie wissen.
>Ich würde Weiß damit beschreiben. Weiß ist die Farbe für alles Unschuldige, Sanfte.<
>Und was ist dann Schwarz? Schwarz ist die Farbe allen Schlechtes. Wie sieht es aus?<
Etwas hilflos sah ich mich um und entdeckte, nicht weit von uns, einen Stein. Ich stand auf, holte ihn und legte ihn dann in ihre Hand. Vorsichtig befühlte sie den Stein und erkundete alle Ecken und Kanten.
>Steine sind tot und kalt. So wie alles Schlechte um uns herum. Deshalb würde ich sagen, dass ein Stein am ehesten die Farbe Schwarz beschreibt.<
Wieder versank sie in Schweigen und reckte erneut ihr Gesicht der Sonne entgegen. Plötzlich lachte sie laut auf und drehte sich wieder zu mir.
>Schließ deine Augen und fühl die Sonne auf deiner Haut.<, forderte sie mich übermütig auf.
Ich schloss sie also und fühlte die Wärme der Strahlen auf meinem Gesicht.
>Siehst du, das ist die Farbe Gelb<, erklärte sie mit einem wissenden Lachen.
Ich lächelte in mich hinein, und wusste, dass ich es nicht hätte besser beschreiben können.